Ein eingestaubtes mit Tüchern behangenes Schaufenster. Auf Podesten thronen zwei sorgfältig ausgewählte Urnen mit zarter goldener Verzierung. Man kann die eingestaubten Traditionen förmlich riechen. Durch die angelehnte Ladentür ist eine verheulte Frau Mitte 50 zu erkennen. Ein Verkäufer, der wahrscheinlich so alt ist wie der Tod selbst, redet auf sie ein. Er redet davon, dass der verstorbene Mensch im Vordergrund stehe. Aber das stimmt so nicht ganz. Der Laden, die Stimmungund alles weitere an diesem Ort zeigt eines ganz deutlich: Der Tod steht hier im Fokus.

Zum Menschen gehört aber mehr als das Sterben. Das Leben und die Erinnerungen machen aus uns die Person, die wir sind. Natürlich ist auch Trauer wichtiger Bestandteil einer Bestattung. Aber eben nicht der einzige Teil. Unser Leben besteht eben auch nicht nur aus Weinen, sondern auch Lachen, Tanzen und so viel mehr. In der gegenwärtigen Bestattungskultur rücken diese Emotionen aber meist sehr weit in den Hintergrund. Und das muss sich ändern. Wir wollen das Leben und den Menschen mit allen Facetten in einer ganz persönlichen, individuellen Abschiedsparty feiern.

Warum eine ganze Kultur ändern?

Es gibt viele Beispiele aus dem ‚Ab unter die Erde‘-Team, warum wir die ganze Kultur ändern wollen. Dabei geht es nicht nur grundsätzlich um die Bestatter, sondern vor allem um den Umgang mit Bestattungen in der Gesellschaft. Es gibt zu viele Regeln, Bräuche und ungeschriebene Gesetze in dem Bereich, für die viele von uns kein Verständnis mehr haben. Wieso sollte eine Bestattung grundsätzlich nur in schwarz stattfinden? Warum darf ich nicht lachen und witzige Geschichten über die verstorbene Person erzählen? Wieso muss ich meine Emotionen einem uralten gesellschaftlichen Bild anpassen, wenn ich das doch ganz anders will?

„Ach wir durften auch in Alltagsklamotten kommen?“, fragte mich eine Bekannte auf der Beerdigung meiner Mutter. Ich trug eine schwarze Jeans und einen dunklen Hoodie. Farblich in meinen Augen angemessen. Bequemlichkeit stand für mich im Vordergrund, meine Bekannte sah das anscheinend anders. Man hat mich nie in Kleidern oder High Heels gesehen. Und doch nagte dieser Gedanke noch viele Tage danach an mir. War das unangemessen oder gar respektlos? Meine Antwort heute: Nein! Meine Mutter hätte nicht gewollt, dass ich mich für sie verstelle. Also wieso sich einer Gesellschaft anpassen, wenn es doch in diesem Fall nicht um ein gesamt gesellschaftliches Ereignis geht? Hier ging es um meine Mutter. Eine lockere, starke Frau, die in Jeans, T-Shirt und Latschen geheiratet hat.

Schon die Planung der Bestattung war ein Graus: Es fing schon bei der Auswahl der Blumen an. „Wir wünschen uns Wiesenblumen. Aber nicht als Kranz, sondern in einem großen Strauß.“ Sofort wurde ein Ordner ausgepackt, in dem sich duzende Seiten voller Bilder mit Blumengestecken befanden. Alle sahen gleich aus und unterschieden sich nur in den Farben der Blüten. Mein Vater und ich schüttelten den Kopf. Die Bilder sahen aus als wären sie aus einem anderen Jahrhundert. Genauso die Karten, die verschickt werden sollten. Am Ende haben wir alles selber gemacht. Nicht ideal für zwei Menschen, die gerade eine wichtige Person verloren haben. Und emotional weniger im Stande waren sich mit solchen lästigen Details zu beschäftigen.

Genauso schwierig ist oft die Individualität beim Abschied. Eine Bestattung hat meist einen ganz bestimmten Ablauf: Angehörige und Freunde treffen sich in der Kapelle auf dem Friedhof. Hier werden ein paar Worte über den*die Verstorbene*n gesprochen, dann ziehen alle gemeinsam der Urne oder dem Sarg hinterher zum Grab. Auch hier werden teilweise noch ein paar Worte gesagt, bevor der Sarg oder die Urne in die Erde gelassen werden. Im Anschluss gehen die engsten Freunde und Verwandte in einem nahegelegenen Restaurant etwas essen, der bekannte Leichenschmaus. Ein völlig anonymer und austauschbarer Vorgang. Kein Raum für Persönlichkeit.

Das ist nur eine von vielen Stimmen aus dem ‚Ab unter die Erde‘-Team. Nur eine von vielen Erfahrungen, die zeigt, wie sehr wir uns Veränderungen wünschen.

Wie verändert man eine Kultur, die sich nicht ändern lassen will?

Die Antwort: Mit viel Kreativität und einer starken Stimme. Wir müssen laut sein. Wir müssen zeigen „Nein, so will ich das nicht.“ Wir sind bunt und anders. Und das zeigen wir auch überall. Wir sind anders als die der anderen Bestatter. Und das ist gut so. Täglich bekommen wir Nachrichten von anderen Menschen, wie überfällig eine Veränderung in der Bestattungsszene sei. Wie glücklich sie sind, dass für uns die Individualität jedes Einzelnen im Vordergrund steht.

Wir wollen mehr als eine schwarze, trauernde Bestattung. Wir wollen lachen, tanzen, weinen. Bei uns soll das Leben genauso einen Platz im Abschied finden, wie auch der Tod.